
Der Standortbetreiber und Industrieparkdienstleister Infraserv Wiesbaden (ISW) betreibt den 96 Hektar großen Industriepark Kalle-Albert in Wiesbaden. Susanne Woggon von lebensmittelverarbeitung-online.de (kurz: LMV-online.de) sprach mit dem Geschäftsleitungsvorsitzenden Peter Bartholomäus über seinen praxisnahen Weg hin zur digitalen Transformation, die Bedeutung von cloudbasierten IIoT-Lösungen für die systematische Auswertung großer Datenmengen sowie schlaue Ideen für Getränkehersteller, die teure Produktionsstillstände auf ein Minimum reduzieren.
1. Amuse-Gueule
LMV-online.de: Wir hätten uns einen besseren Einstieg gewünscht, aber die Weltwirtschaft schwächelt gerade und die Industrie in Deutschland ist rückläufig. Macht sich die aktuelle Situation im ISW-Tagesgeschäft bemerkbar?
Dem Industriepark als solches geht es hervorragend. Wir müssen aber zwischen kurz- und langfristigen Effekten unterscheiden. Kurzfristig nehmen die Sorgen am Standort zu. Dabei geht es vor allem um allgemeine Unsicherheiten, wie zum Beispiel durch den Handelskonflikt zwischen USA und China oder den Brexit. Wir haben hier sehr anlageintensive Industrien angesiedelt, die mit langen Abschreibungszeiten rechnen. Angesichts des politischen Umfelds gibt es momentan überall eine Scheu vor großen Investitionen. Auch unsere Kunden agieren deshalb momentan mit eher kurzfristigen Entscheidungshorizonten.
Langfristig sind wir jedoch gut aufgestellt. Wir sind gerade dabei, unsere Strategie 2019-2025 zu überprüfen und bis 2030 zu verlängern. Diese Arbeit soll uns den Weg weisen, mit welchen Leistungen wir in zehn Jahren unsere Kunden zufriedenstellen und Geld verdienen können. Mit der umfangreichen Modernisierung unseres Kraftwerks und dem Bau eines neuen Gefahrstofflagers haben wir zuletzt sehr große Investitionen in die Infrastruktur eingeleitet. Beide Projekte sind auch auf mehr Nachhaltigkeit ausgelegt und grundlegende Voraussetzungen, um unseren Kunden dauerhaft wettbewerbsfähige Standortbedingungen zu bieten.
Eine kontinuierliche Aufgabe ist daneben die Optimierung der Flächennutzung, und mittelfristig verfolgen wir das Ziel eines Standortausbaus. Das alles gelingt nur, wenn permanent in Nachhaltigkeit und Infrastruktur investiert wird. Zusammengefasst machen wir uns langfristig keine Sorgen, aber kurzfristig ist das Geschäft sicherlich etwas schwieriger geworden.
2. Vorspeise
LMV-online.de: Die Industrie steht gerade am Anfang eines massiven Veränderungsprozesses: der digitalen Transformation. Im Rahmen Ihrer Doppelfunktion erleben Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden sowie das hauseigene ISW-Dienstleitungsangebot unmittelbar. Was hat sich - aus Ihrer Sicht - in den letzten Jahren in der Zusammenarbeit mit Ihren Kunden geändert?
Als industrieller Dienstleister haben wir den Digitalisierungstrend sehr früh erkannt und uns mit verschiedenen Initiativen auf das Thema vorbereitet – zum Beispiel durch die Etablierung eines „Innovation Lab“, das direkt auf dem Flur der Geschäftsleitung angesiedelt ist. Oder durch die Einladung zum regelmäßig stattfindenden „Open Innovation Circle“ – ein Informations- und Kooperationsangebot für die Unternehmen am Standort rund um das Thema Digitalisierung. Diese Angebote werden sehr gut angekommen. Wir sehen aber auch, dass einige Standortunternehmen noch in abwartender Haltung sind. Da reicht das Interesse an digitaler Automatisierung nur bis zur Verbesserung von Prozessleitsystemen. Andere gehen aber bereits weiter und diskutieren mit uns mögliche Anwendungen unserer IoT-Plattform.
Unser Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Kunden und gerne auch mit anderen externen Partnern, Lösungen zu entwickeln. Dabei haben wir nicht nur die optimierte Prozesssteuerung im Blick, sondern auch die immensen Rohdaten, die jede Anlage in großem Umfang liefert. Diese Daten wollen wir zukünftig gewinnbringend miteinander verknüpfen und auswerten. Ob wir nun die Produkt-, Prozess-, Kunden- oder Vertriebsseite der Wertschöpfung betrachten: aus solchen Datenanalysen lassen sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz zusätzliche, ganz neue und sehr wertvolle Zusammenhänge ableiten.
Vor allem im Bereich unserer ISW-Technik möchten wir mit unseren Kunden über solche Visionen sprechen. Zeitgleich geht es aber auch darum, mit innovativen kleinen Teillösungen erste praktikable Schritte in Richtung Industrie 4.0 aufzeigen. Ob Augmented Reality, digitale Auftragsabwicklung oder vorausschauende Instandhaltung: Hier haben wir schon eine Reihe praktikabler Lösungen im Portfolio. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz einer digitalen Plattform im Bereich der Auftragsabwicklung von Wartungsarbeiten. Diese Neuerung haben wir mit einem externen Partner realisiert. Sie beinhaltet ein mobiles Endgerät, mit dem unsere Techniker alle notwendigen Schritte für einen Wartungsauftrag dokumentieren – von der Angebotserstellung bis hin zur Ergebniskommunikation an den Kunden. Der Kunde kann zudem jederzeit auf seine Daten zugreifen, Papierformulare entfallen und die Kommunikation erfolgt per Mausklick in Echtzeit. Derartige, sogenannte mobile und digitale Assistenzsysteme für die Instandhaltung lassen sich branchenübergreifend einsetzen. Mit solchen Angeboten möchten wir auch neugierig machen auf ein viel breiteres digitales Angebot, das allen Beteiligten zusätzliche technische und wirtschaftliche Chancen bieten kann.
Der zunehmende Einsatz cloudbasierter IoT-Lösungen ist für uns hierbei ein sehr wichtiger Trend. Der Begriff Industrie 4.0 ist mittlerweile bekannt. Aber die systematische Auswertung von „Big Data“ steht häufig noch am Anfang. Hier können wir mit einem eigenen Rechenzentrum und schnellen, sicheren Netzen eine hervorragende Infrastruktur bieten. Wir laden unsere Kunden und Partner in diversen Foren regelmäßig dazu ein, mit uns zusammen neue digitale Möglichkeiten zu entwickeln und gemeinsam diese Lernkurven zu durchlaufen.
3. Zwischengang
LMV-online.de: Die besten Ideen sollten aus den eigenen Reihen kommen. Man muss den Prozess nur fördern. Hat ISW hier eine spezielle Methode? Können Sie ein konkretes Beispiel für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie aus Ihrer Praxis benennen?
Ideen sind ein großer Schatz, den es immer wieder neu zu heben gilt. Wir setzen dabei vor allem auf den Dialog mit Kunden und die Kooperation mit Partnern, die spezielle Kompetenzen mitbringen. Ebenso wichtig ist die Kreativität unserer Mitarbeiter. So haben wir das Innovation Lab etabliert, in dem junge ISW-Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen wie IT oder Automatisierungstechnik mit großer Neugier neue Themen rund um die Digitalisierung aufspüren. Sie formulieren neue, digitale Anwendungsmöglichkeiten im Industriepark. Dann prüfen wir, ob und mit welchen Ressourcen diese ohne bürokratischen Aufwand weiterverfolgt und ausprobiert werden können, bevor der Innovationsprozess weitergeht.
Der „Open Innovation Circle“ ist ein Forum zum firmenübergreifenden Erfahrungsaustausch für Betriebsingenieure und Produktionsleiter gemeinsam mit den IT-Fachleuten. Die Produkte unser Standortunternehmen sind sehr divers und reichen von Lebensmittelverpackungen über Waschmittel bis hin zu Kunststofffolien. Dennoch gibt es mit Blick auf die Prozesse große Schnittmengen, beispielsweise, wenn es um die Auswertung großer Datenmengen geht oder den Einsatz von Industriedrohnen oder Augmented-Reality-Geräten. Auch hier ist das Ziel, neue Ideen oder auch Maßnahmen, um dringende Kundenprobleme zu lösen, schnell einem Praxischeck zu unterziehen. Scheitern gehört natürlich auch hier dazu, aber die Chance für Innovationen wird durch solche Foren größer.
Als Standortbetreiber wollen wir unseren Kunden über diese Initiativen einen stets wachsenden Baukasten mit allen wesentlichen Elementen für die Digitalisierung anbieten. Das beinhaltet auch das drohnen- oder 3D-unterstützte „Building Information Modelling“ bei der Planung von Anlagen und neuen Gebäuden. Die Kommunikation über digitale Themen hat sich insgesamt beschleunigt und die Hemmschwellen, sich diesem Trend zu öffnen, sind gesunken. Das ermöglicht uns heute, auch Ideen und technische Potenziale zu diskutieren, die noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung stehen.
Eine Innovationsquelle ist nicht zuletzt auch unser internes Ideenmanagement. Mitarbeiter können auf einer Internetplattform Ideen einstellen, die auf technische Verbesserungen, schlankere Prozesse oder Kosteneinsparungen abzielen. Über diesen Weg ist letztes Jahr ein mobiler Ventilprüfstand entstanden, der unseren Kunden in der Wein- und Sektproduktion das Leben erleichtert. Einer unserer Kundenberater, der regelmäßig im Rheingau unterwegs ist, hat eine Lösung vorgeschlagen, um die Wartung und Instandhaltung von Sicherheitsventilen in den Kellereien zu vereinfachen. Früher wurden defekte Bauteile ausgebaut, in unsere Werkstatt gebracht und nach der Reparatur wieder zurückzugebaut. Das war zeitaufwändig und ging für Getränkehersteller mit längeren Stillstandzeiten einher. Jetzt haben wir einen mobilen Prüfstand für Sicherheitsventile im Einsatz und können direkt vor Ort arbeiten und sofort alle notwenigen Zertifikate ausstellen. Über die digitale Anbindung dieser Dienstleistung an unsere cloudbasierten Rechnerplattformen lässt sich ihre Effizienz zukünftig sicherlich noch steigern.
4. Hauptspeise
LMV-online.de: ISW bietet auch Komplettlösungen für Rohrleitungssysteme in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie an. Welche Leistungen umfasst das Paket?
Wir kommen aus der Chemieindustrie, wo überwiegend Schwarzstahl verbaut wird, der aber aufgrund von Hygiene- und anderen Sicherheitsvorschriften für weite Bereiche der Lebensmittel- und Getränkeindustrie nicht in Frage kommt. Reinlichkeit ist in der Lebensmittel- und Pharmaindustrie essenziell wichtig, deshalb darf es zum Beispiel auch keinerlei Rückstände in den Leitungen geben.
In den vergangenen Jahren haben wir unsere Expertise im Rohrleitungsbau für die chemische Produktion systematisch in Richtung Lebensmittel- und Getränkeindustrie erweitert. Wir kennen uns deshalb mittlerweile auch sehr gut mit Edelstahlleitungen aus, die höheren Sicherheitsstandards genügen. Für zahlreiche Getränkeproduzenten in unserer weinreichen Region sind wir bereits ein bevorzugter Geschäftspartner für Rohrleistungssysteme. Hier haben wir Topstandards für die sogenannte „Good Manufacturing Practice“ erreicht, was zum Beispiel die Sauberkeit und Trennung der Verarbeitungsprozesse anbelangt. Unser mittelfristiges Ziel ist die Übertragung dieser Rohrleistungsbau-Kompetenzen auch in Richtung Pharma.
5. Dessert
LMV-online.de: Zum Abschluss eine persönliche Frage: In Wiesbaden gibt es einiges zu entdecken. In Ihrer Freizeit sind Sie am liebsten …?
Unser Industriepark ist mir sehr ans Herz gewachsen, deshalb bin ich hier oft unterwegs und schaue mir auch neben der normalen Arbeitszeit den Fortschritt auf unseren Baustellen an. Im normalen Tagesgeschäft schaffe ich das leider zu selten. Bei solchen Besichtigungen ohne Termindruck kommen mir nicht selten neue Ideen, wie das eine oder andere Vorhaben vorangebracht werden kann. Daneben verbringe ich möglichst viel Zeit mit meiner Familie, mit meiner wunderbaren Frau und unseren zwei Kindern. Am liebsten sind wir gemeinsam auf Reisen und genießen die Zeit fernab des Alltags. Zudem komme ich aus einer großen Familie mit vier Geschwistern, die mir sehr wichtig sind. Und wir haben einen großen Freundeskreis. In der zugegebenermaßen überschaubaren Freizeit haben meine Frau und ich besonders viel Freude beim Besuch von Musikveranstaltungen, wofür es hier in der Rhein-Main-Region ein riesiges Angebot gibt.
Herr Bartholomäus, wir danken Ihnen für das offene und interessante Gespräch!
Hintergrundinformationen
Die Unternehmensgruppe Infraserv Wiesbaden beschäftigt rund 900 Mitarbeiter am Standort und erzielte 2018 einen Umsatz von 185 Millionen Euro. Peter Bartholomäus ist seit 2012 bei ISW als Vorsitzender der Geschäftsleitung tätig. Er ist außerdem Mitglied der Geschäftsleitung bei der Tochtergesellschaft ISW-Technik. Bartholomäus hat Energie- und Verfahrenstechnik studiert und war zuvor in verschiedenen Fach- und Führungsfunktionen in Deutschland und Asien tätig.