Vier Gänge mit fünf Fragen
Business Lunch mit Dr. Michael Grosse von Syntegon über nachhaltige Verpackungslösungen
Montag, 03. Juli 2023
| Redaktion
Share on:
Dr. Michael Grosse, CEO bei Syntegon
Dr. Michael Grosse, CEO bei Syntegon, Bild: LMV-online.de / Susanne Woggon

Verpackungen sorgen für eine längere Haltbarkeit von Lebensmittel und helfen so, diese vor Verderb zu schützen. Aber sie polarisieren auch: Weil sie durch den Einsatz verschiedener Materialien wie Kunststoffen schwer zu recyceln sind, lassen sie sich aktuell nicht ausreichend in einen Wertstoffkreislauf zurückführen. Verschmutzte Meere und Mikroplastik im Wasser sind die Folge. In einem exklusiven Business Lunch Interview spricht Dr. Michael Grosse von Syntegon über mehr Nachhaltigkeit im Bereich Verpackungen und Verpackungsanlagen. LMV-online.de hat den CEO des Anlagen- und Maschinenbauers auf der Interpack 2023 getroffen. Der passionierte Teamsportler berichtet über nachhaltige Verpackungslösungen für Monomaterialien, die ohne hohe Investitionskosten für die Nahrungsmittelhersteller auskommen und dennoch die gleiche Leistung erbringen. Zudem wird beleuchtet, wie Unternehmen mittels Automatisierung und Digitalisierung den Herausforderungen des Klimaschutzes oder des akuten Fachkräftemangels begegnen können.

1. Amuse-Gueule
LMV-online.de: Herr Dr. Grosse, sowohl der Start von Syntegon als Unternehmen als auch Ihr Eintritt als CEO fielen in die Corona-Zeit. Das war sicherlich nicht immer leicht. Erzählen Sie mal, wie Sie diese Zeit erlebt haben.

Für mich war es zunächst schockierend. Mir ist es sehr wichtig, engen Kontakt mit den Menschen zu haben, unabhängig von Level, Funktion oder Land. Die Zusammenarbeit und der persönliche Austausch sind essenziell. Selbst wenn wir nur mit einer 30-prozentigen Belegschaft am Standort waren, habe ich mich um Nähe bemüht. Wir haben eine Reihe von Formaten wie „Let’s talk“ entwickelt. Hier können sich Leute auf informelle Art und Weise rund um den Globus zu bestimmten Themen austauschen. Es war mir wichtig, trotz Pandemie an Mitarbeitern und Kunden dranzubleiben. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir es geschafft, unter den Rahmenbedingungen der Pandemie einen echten Kulturwandel zu schaffen. Nach der Abspaltung vom großen Bosch-Konzern haben wir mit Syntegon eine eigene Marke für Prozess- und Verpackungstechnik im Bereich Food und Pharma für ein besseres Leben aufgebaut. Unsere Entscheidungsprozesse laufen jetzt schneller, wir haben mehr Freiheiten. Bei all unseren Handlungen haben wir den Kunden in den Mittelpunkt gerückt, sei es bei Investitionen oder Neuentwicklungen. Das war eine größere Transformation - der Kulturwandel für eine stärkere Kundenorientierung. Wir wollen unsere Leute dazu bewegen, selbst unternehmerisch zu denken, auch mutiger zu handeln und Vorschläge und Ideen ins Unternehmen einzubringen. Im Rahmen der Pandemie war das sicherlich herausfordernd, hat uns aber andererseits auch erfinderisch gemacht. Zum Beispiel liefen Maschinenabnahmen über Video mit VR-Brillen.

Es war auch von Vorteil, dass wir 1.200 Techniker an 35 Standorten über die Welt verteilt haben, um den Kunden soweit möglich in der Pandemie nah zu sein. Das hat uns sehr geholfen. Wir hatten sehr viel Zeit, um neue Technologien, Konzepte und Produkte zu entwickeln. Statt auf Einzelmaschinen setzen wir nun auf kombinierte Industrielösungen, zum Beispiel für die Verpackung von Riegeln und Schokolade, Keksen oder Pharmaprodukten. Und natürlich sind die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung sehr starke Antriebe.

2. Vorspeise
Nachhaltigkeit ist eines der Megathemen, nicht nur auf der Interpack 2023. Gerade im Lebensmittelbereich spielt das eine große Rolle. Wie greift Syntegon dieses Thema auf?

Für mehr Nachhaltigkeit bringen wir den Dreiklang zwischen den Kundenanforderungen des Produktes, den Spezifikationen der Materiallieferanten und unserer Maschine zusammen. Wir sehen uns als Partner und Berater für unsere Kunden und betrachten Problemstellungen erstmal völlig losgelöst von unseren vorhandenen Lösungen. Entscheidend ist das Beste für den Kunden, beispielsweise die richtige Materialwahl zwischen Monomaterial, Bio-Kunststoffen oder papierbasierten Lösungen. Es geht darum, von vornherein Lösungen parat zu haben, die eine unterschiedliche Materialwahl zulassen und Investitionen vor späteren gesetzlichen Änderungen schützen. Wichtig sind auch nachrüstbare Ansätze, denn die Hersteller haben in der Vergangenheit bereits hohe Investitionen getätigt. Deshalb suchen wir nach breitflächigen Lösungen, die keine hohen Neuinvestitionen für den Umbau dieser Anlagen notwendig machen. Wichtig ist die Verbindung von Wirtschaftlichkeit mit Ökologie. Unsere Anlagen lassen die Verarbeitung von umweltfreundlichen Materialien zu, ohne an Leistung zu verlieren. Weitere Beispiele sind Linien, die sowohl Cookies als auch andere Backwaren mit Monomaterialien bei gleicher Geschwindigkeit abfüllen können. Ökologie ist am nachhaltigsten, wenn sie sich rechnet. Wenn wir kostengünstige und nachhaltige Alternativen finden, die trotzdem effizient auf dem gleichen Level sind, dann gewinnen alle, weil sich diese Lösungen auf dem Markt durchsetzen werden.Ein anderer Aspekt sind die Verbräuche. Gerade in der Energiekrise wurden wir vermehrt angesprochen, wie sich im laufendem Anlagenbetrieb Energiekosten senken lassen. Auch für mehr Nachhaltigkeit sollte der Ressourceneinsatz reduziert werden. Serviceleistungen, Modernisierungen, Upgrades und smarte operative Ansätze helfen, Energieverbräuche wirklich zu senken. Nahrungsmittelhersteller haben bestimmte Nachweispflichten ihres CO2-Fußabdrucks. Darunter fallen auch die Produktionslinien. Deshalb bieten wir seit letztem Jahr ein vom TÜV zertifiziertes Verfahren für ein Life-Cycle-Assessment unserer Anlagen an. So können wir dem Kunden sehr detailliert den gesamten Scope seines Betriebs darstellen. Die Daten, die wir hier erhalten, dienen als Grundlagen für die Entwicklung neuer Maschinengenerationen. Die Designs müssen von vornherein so gestaltet werden, dass Energie- und Ressourcenverbräuche spürbar gesenkt, dadurch der CO2-Ausstoß reduziert sowie die Wartung auf ein Minimum gesenkt wird. Gerade bei der Wartung kommen Ökonomie und Ökologie zusammen. Wenn weniger Wasser und Chemikalien eingesetzt werden, schlägt sich das positiv in den Betriebskosten und in der Umweltbilanz nieder. Ein Beispiel, das wir auf der Interpack gezeigt haben, ist die Verpackungstechnologie „Lock-Style“. Durch einfaches Zusammenstecken kann man auf den Klebstoff verzichten. Wenn man den Klebstoffverbrauch in dieser Anwendung bei einem Großkunden hochrechnet, kommt man auf 50 Tonnen Klebstoff pro Jahr. Das spart den Kunden bis zu 200.000 Euro jährlich. In der Gesamtanlage entspricht das einer zehnprozentigen Reduzierung des CO2-Footprints.

…und wie sieht es mit der Nachhaltigkeit bei Ihnen selbst aus?

Bei Syntegon verfolgen wir die Philosophie, zuerst in unserem eigenen Haus aufzuräumen, bevor wir anderen schlaue Ratschläge geben. Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns mit unserer eigenen Nachhaltigkeit und haben eine klare Zielsetzung in diesem Bereich. Dazu gehört ein eigener CSR-Report. Bis 2025 wollen wir die CO2-Emissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 2019 senken, trotz Volumenwachstum. Wir haben ein großes Werk in Behring im Kanton Schaffhausen und bauen dort das größte photovoltaikbedeckte Dach im gesamten Kanton. In jedem einzelnen Bauprojekt wird Nachhaltigkeit mit jedem Aspekt verfolgt. Das hat oberste Priorität - bei jeder Investition.

3. Zwischengang
Automatisierung und Digitalisierung sollen helfen, den drängenden Herausforderungen wie Klimaschutz oder dem akuten Fachkräftemangel zu begegnen. Wie können Sie das mit Neuentwicklungen unterstützen?

Durch Automatisierung lassen sich über Funktionen in der Maschine Prozesse beschleunigen, lenkbarer und präziser gestalten. Beispiele sind unsere Maschinen IDH (Intelligent Direct Handling) oder unsere RPP Robotic Pick & Place Plattform, in die aktuelle Errungenschaften der Automatisierung einfließen. So integrieren wir hier lineare Antriebstechnik von anderen Herstellern für mehr Geschwindigkeit, höhere Präzision und größere Flexibilität dank eines hohen Grades des Automatisierungslevels. Unsere Kunden müssen immer flexibler auf Anforderung der Endverbraucher und des Handels an neue Formate, Größen und Verpackungen reagieren. Das in der Produktion abzubilden, ist eine Herausforderung. Mit Automatisierungstechnik ermöglichen wir Formatwechsel auf Knopfdruck. Das passiert innerhalb kürzester Zeit, ohne Arbeitszeit- und Wertverlust. Wir haben diese Flexibilität direkt in unsere Maschinen integriert.

Digitalisierung beinhaltet für mich zwei Aspekte. Das sind zum einen Komponenten in Maschinen und zum anderen die Daten, die über Sensorik in der Anlage generiert werden. Beispielsweise lassen sich über aufgebrachte QR-Codes einzelne Produkte nachverfolgen. Integrierte Kameras können diese im Prozess auslesen. Das ist hilfreich, wenn es im Produktionsablauf zu Problemen kommt und Produkte gezielt ausgeschleust werden müssen. Es geht aber nicht nur um die Extraktion von Daten, sondern auch um ihre Nutzung zur Verbesserung von Produktionsprozessen. Mit der cloudbasierten Plattform Synexio werden Maschinendaten generiert, die auch durch nachgerüstete Sensoren erfasst, analysiert und visualisiert werden. Vom Bediener über Produktionsleiter bis hoch ins Management helfen die Daten, das Verhalten von Komponenten und einzelnen Funktionen darzustellen, um daraus wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Fehler und Probleme in der Maschine lassen sich so vorhersagen. Es können rechtzeitig Ersatzteile bestellt oder Wartungen eingeplant werden, bevor Probleme und unerwartete Störungen entstehen.

Dann haben wir das Thema Fachkräfte. Maschinen sind zum Teil hochkomplex und nicht einfach zu bedienen. Es wird immer schwieriger sicherzustellen, dass die Bediener ausreichend geschult sind. In diesem Fall hilft auch die Technologie, zum Beispiel über Augmented Reality und den Einsatz von Hololenses, um den Operator visualisiert anzuleiten, wie bestimmte Tätigkeiten beispielsweise bei Formatwechseln ausgeführt werden. Die Maschine kann vorgegebene Schritte quittieren und so werden Fehler verhindert. Das zeigt, dass Technologie ein großer Segen sein kann, um die Welt sowohl für das Bedienpersonal an den Anlagen als auch für die Betreiber der Fabriken einfach besser zu machen.

4. Hauptgang
2023 hat endlich wieder eine Interpack stattgefunden. Am Syntegon-Stand wurde eine Reihe von Neuheiten erstmals dem Fachpublikum vorgestellt. Welche sind Ihre persönlichen Highlights?

Wir haben so viele tolle Neuheiten hier auf dem Syntegon-Stand, da ist mein Favorit vor allem die Begeisterung der Kunden, aber auch unserer eigenen Leute, die stolz sind auf das, was sie geleistet haben. Meine Währung ist Motivation, Energie und Begeisterung. Je mehr Leidenschaft in ein Produkt gesteckt wird, desto besser ist es auch. Das kann ich bei vielen unserer Produkte wirklich spüren. Wenn ich mich entscheiden muss, ist die Vertikalplattform SVX mein Highlight, die auf der Interpack 2023 ihre Enthüllung gefeiert hat. Sie ist unsere jüngste Entwicklung. In den letzten zwei Jahren habe ich hier mit im Steeringteam gesessen. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Maschine einen neuen Benchmark in der Industrie gesetzt haben. Bei der Entwicklung haben wir uns wirklich in die Schuhe des Operators gestellt und überlegt, wie die Maschine so einfach und gegenüber Fehlern so unempfindlich wie möglich gestaltet werden kann. Jedes Detail ist sehr durchdacht. Es steckt unfassbar viel Kreativität darin. Vor allem das neue Cross-Seal-Drive ist wirklich cool. Also wenn ich nach Geschwindigkeit, Flexibilität und einem hohen Grad an Automatisierung und digitalen Lösungen sowie einem integrierten Dienstleistungskonzept bewerten soll, dann ist das für mich die Maschine.

5. Dessert
Gibt es ein verbindendes Element zwischen Ihnen als Privatmensch und Unternehmenschef bei Syntegon?

Ich habe zwei Eigenschaften, die mich als Mensch ausmachen: Das ist zum einen meine Liebe zur Familie. Wir haben drei Kinder im Teenageralter. Was mich fasziniert und ich gleichzeitig als Erziehungsauftrag empfinde, ist Nachhaltigkeit. Deshalb versuche ich meinen Töchtern zu vermitteln: Weniger ist mehr. Ich möchte sie für dieses Thema begeistern, das ist eine spannende Aufgabe. Manchmal denke ich, dass ich damit bei Syntegon erfolgreicher bin als zuhause. Der andere Aspekt, der mich prägt: Ich mag Teams. Schon immer war ich ein Teamsportler und betreibe auch heute noch Sportarten, die man zusammen macht und in denen man sich gegenseitig hilft. Ich bin passionierter Segler und Skitourengänger. Beides findet draußen in der Natur statt, was ich sehr schätze. Für beide Hobbies braucht man immer ein Team von Menschen, die zusammenarbeiten, um gemeinsam etwas zu erreichen. Das treibt mich privat und auch im Unternehmen an.

Herr Dr. Grosse, wir danken Ihnen für die spannenden Einblicke und das interessante Gespräch!
 

Auch interessant für Sie

Die effektivsten kaltsiegelfähigen Barrierepapiere der Branche können einen Papieranteil von bis zu 90 Prozent aufweisen. Mit der entsprechenden Infrastruktur können sie über den Papierabfallstrom recycelt werden
Die Achema 2024 zeigte neue technische Lösungen für die Lebensmittel- und Getränkeproduktion
Oliver Volland
Der niederländische Standort Schiedam von Syntegon
Mondelēz International kam mit einem herausfordernden Auftrag auf Syntegon zu
Mit dem Kliklok ACE können Lebensmittelhersteller zwischen dem Lock-Style-Verfahren oder innovativer Ultraschalltechnologie wählen - beide sind leimfrei und damit eine nachhaltige Alternative für verschiedene Kartonformate